Arbeiten in interdisziplinären Teams gehört in global organisierten Unternehmen zum Alltag. Samuel van den Bergh, Gründer der Fachstelle für interkulturelle Kompetenz und Professor Emeritus für interkulturelle Kommunikation, beleuchtet die Inklusion unter dem Aspekt der interkulturellen Kompetenz.
In Anlehnung an das Nachhaltigkeitsziel Nr. 4 der Vereinten Nationen
Interkulturelle Kompetenz umfasst Mensch und Ökonomie
Die Interdependenzen bei Liefer- und Wertschöpfungsketten sind seit der Pandemie offensichtlich geworden. Sie betreffen auch Unternehmen mit lokaler Marktausrichtung. Interkulturelle Kompetenz bezieht sich daher nicht ausschliesslich auf kulturübergreifende Teams innerhalb einer Organisation, sondern auf ein erfolgreiches Miteinander insgesamt auf lokaler, regionaler und globaler Ebene.
Samuel van den Bergh, Gründer der Fachstelle für interkulturelle Kompetenz und Professor Emeritus für interkulturelle Kommunikation, gibt Auskunft über die Dimensionen der interkulturellen Kompetenz, deren Entwicklung und wie wir das Bewusstsein dafür schärfen können.
In der Vielfalt von Lösungsansätzen liegt das Potenzial, besser für neue Herausforderungen gewappnet zu sein.
Samuel van den Bergh
Communications-Circle: Du bist Gründer einer auf interkulturelle Kommunikation, interkulturelles Management, multikulturelle Teambildung sowie auf Diversity-Management spezialisierte Ausbildungs- und Beratungsfirma. "Leading Across Diversity and Culture" oder "Managing multi-cultural Teams" sind Inhalte Deiner Firmentrainings. Die interkulturelle Kompetenz begleitet Dich seit vielen Jahren. Was hat Dich dazu geführt?
Samuel van den Bergh: In meinem «früheren Leben» war ich Dozent für Englisch. In den neunziger Jahren entwickelte ich ein Programm Englisch und internationales Projektmanagement und das führte mich zur interkulturellen Kommunikation. Ich realisierte: Sprache ist das eine; es braucht aber mehr als Sprachkenntnisse, um im internationalen Umfeld erfolgreich zu interagieren. Seither hat mich das Thema nicht mehr losgelassen.
CC: Heute ist das Thema viel präsenter. Häufiger noch als interkulturelle Kompetenz wird jedoch der Begriff «Diversity & Inclusion» bzw. "Diversity, Equity & Inclusion" - kurz DEI - als Teil globaler HR-Strategien verwendet. Ist DEI gleichbedeutend oder wo liegen die Unterschiede zur interkulturellen Kompetenz?
Van den Bergh: Die Begriffe «Interkulturelle Kommunikation / Kompetenz» oder «Transkulturelle Kompetenz» sind enger gefasst als «Diversity & Inclusion». Erstere beziehen sich oft «nur» auf Unterschiede und einvernehmliche Handlungsoptionen zwischen Menschen mit verschiedenen Nationalitäten, während «Diversity & Inclusion» sich mit jeglichen Unterschieden zwischen Menschen und dem inkludierenden Umgang von Unterschieden beschäftigt; Beispiele sind Gender, Alter, Individuen, Organisationen, Länder, Berufe, Minderheiten, sexuelle Orientierung etc.
CC: Wir erleben gerade eine aussergewöhnliche Zeit. Die Welt befindet sich im Ausnahmezustand. Es wird interessant zu sehen sein, welche Kräfte und Verschiebungen der Corona-Krise entwachsen. Der Zukunftsforscher und renommierte Politikexperte Deutschlands Dr. Daniel Dettling hält in seinem NZZ-Gastbeitrag vom 18. März 2020 fest, dass sich die globale und lokale Zivilgesellschaft neu organisiert. Abschottung und Isolation jedoch führen nicht zu einer besseren Zukunft und er stellt somit die Begriffe «Alle gegen alle» der «Wir-Gesellschaft» gegenüber. Er verweist auf die wieder entdeckte Glokalisierung und interpretiert die Synthese aus Globalisierung und Lokalisierung als neues Verständnis. Wie lautet Deine Einschätzung dazu und welche Rolle kommt der interkulturellen Kompetenz im Kontext der Glokalisierung zu?
Entweder-oder-Lösungen führen nicht wirklich weiter.
Samuel van den Bergh
Van den Bergh: «Interkulturelle Kompetenz» und «Diversity& Inclusion» zielen darauf ab, Unterschiede als Bereicherung zu erleben. In der Vielfalt von Lösungsansätzen verschiedener Länder in Bezug auf die Corona-Pandemie beispielsweise liegt das Potenzial, besser für neue Herausforderungen gewappnet zu sein. Für die Aufarbeitung und den Vergleich der verschiedener Lösungsansätze braucht es die globale Kooperation und die globale Konkurrenz, damit nachhaltig wirksame Lösungen für alle generiert werden können. Entweder-oder-Lösungen führen nicht wirklich weiter.
Ähnlich verhält es sich mit «lokal und global». Es sind nur vermeintliche Gegensätze. Theoretisch gesehen, hat der lokale Fokus in der Krise durchaus positive Auswirkungen gezeigt, die Fallzahlen nahmen ab. Die Abschottung hat jedoch der global vernetzten Wirtschaft arg zugesetzt. Wir brauchen für die Zukunft vermehrt den Fokus aufs Lokale (vieles kann auch lokal produziert werden), ebenso brauchen wir den intensiven globalen Austausch von Ideen, Lösungen, Dienstleistungen und von Gütern, die nicht lokal hergestellt werden, da sie nicht ökonomisch und/oder ökologisch produziert werden können.
Die Förderung transkultureller Kompetenzen bei Mitarbeitern ebenso wie der «Diversity & Inclusion»-Ansatz bei Unternehmen zielen beide darauf ab, Unterschiede als nur vermeintliche Gegensätze zu erkennen und Synthese, Reconciliation und Inklusion anzupeilen.
CC: Unabhängig der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung wird das Wissen und damit die Bildung und Förderung der interkulturellen Kompetenz entscheidend bleiben. Das Nachhaltigkeitsziel Nr. 4 der Vereinten Nationen (SDG No. 4) setzt sich für gleichberechtige Bildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche ein wie auch für ein lebenslanges Lernen. Den interkulturellen Dialog, den gegenseitigen Respekt und die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg will vor allem die von der UN 2005 gegründete Alliance of Civilization fördern. Welchen Einfluss haben diese internationalen Bestrebungen auf Deine Arbeit?
Ich helfe Menschen, ihre transkulturellen Kompetenzen zu fördern, indem sie sich über Grenzen hinweg austauschen.
Samuel van den Berg
Van den Bergh: Der Themenkomplex «Diversity & Inclusion» hat mich seit den neunziger Jahren nicht mehr losgelassen. Meine Motivation ist intrinsisch. Ich tue etwas Sinnvolles. Ich helfe Menschen, ihre transkulturellen Kompetenzen wie Flexibilität, Unsicherheitsresistenz, Ambiguitätstoleranz zu fördern, indem sie sich über Grenzen hinweg austauschen. Das fördert den Respekt für Andersartigkeit und schärft das Sensorium für Ungerechtigkeiten wie Diskriminierung, Ausgrenzung, Ausbeutung. Das Nachhaltigkeitsziel Nr. 4 der Vereinten Nationen gibt mir Gewissheit, dass ich gut liege.
CC: Wo siehst Du die interkulturelle Kompetenz beim Unternehmen angesiedelt?
Van den Bergh: In diesen Zusammenhang zitiere ich gerne meinen Mentor Charles Hampton-Turner: Eine Diversity-Strategie als Aushängeschild einer Organisation, die alleine von HR entwickelt wurde, bringt keine nachhaltigen Veränderungen. Und wenn wir die Verantwortung für Inklusion alleine dem Einzelnen übertragen, dann sind alle und niemand verantwortlich. Die Synthese lautet, nicht entweder / oder, sondern und: «Diversity and Inclusion sponsered and assessed by HR [and] practiced by everyone».1
1 Trompenaars Hampden-Turner Survey 2005, The Dilemmas of Diversity
CC: Welche Aufgabe kommt der Unternehmenskommunikation zu?
Van den Bergh: Die Unternehmenskommunikation zeigt auf, wie sich gelebte Diversity & Inclusion-Initiativen positiv auswirken, nach innen für die Belegschaft und nach aussen für die Unternehmung.
Über Samuel van den Bergh
Samuel van den Bergh ist Gründer der Fachstelle für Interkulturelle Kompetenz und Professor Emeritus für interkulturelle Kommunikation, interkulturelle Kompetenz und Diversity-Management. Er ist Gründer seiner eigenen Ausbildungs- und Beratungsfirma, der van den Bergh Thiagi Associates GmbH, die auf interkulturelle Kommunikation und interkulturelles Management, multikulturelle Teambildung und Diversity-Management spezialisiert ist. Seine Tätigkeit umfasst Trainings, Beratung, Coaching und Forschung. Er führt firmeninterne Trainings zu den Themen "Leading Across Diversity and Culture" und "Managing Multicultural Teams" durch.
Am 2. April 2020 erschien das Buch «Interkulturelle Begegnungen in Gesundheitsberufen», an dem er als Co-Autor mitgearbeitet hat. Zu beziehen ist es beim hep Verlag.
Über die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen
Die 193 UNO-Mitgliedsstaaten haben 2015 die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Die insgesamt 17 Ziele, die Sustainable Develompent Goals (SDGs), bilden den universell global verbindlichen Referenzrahmen für nachhaltige Entwicklung. Dieser basiert auf dem Bewusstsein, dass Armut nur durch Strategien zu überwinden ist, die zum einen das wirtschaftliche Wachstum fördern und zum andern eine Reihe sozialer Bedürfnisse miteinbinden, namentlich Bildung, Gesundheit, Gleichheit und Arbeitsmöglichkeiten. Ebenso sind die Klimaveränderung und der Erhalt unserer Ozeane und Wälder Zielbereiche. Die UNO-Mitgliedsstaaten haben sich bereit erklärt, diese Ziele bis 2030 gemeinsam zu erreichen.
Das SDG Nr. 4 richtet sich auf die Verbesserung der Ausbildung. Diese stützt sich zusätzlich auf das international wachsende Bewusstsein, dass Bildung ein wichtiges Element und Qualitätsmerkmal einer guten Ausbildung ist sowie eine nachhaltige Entwicklung erst dadurch ermöglicht wird.